Mehrsprachig aufwachsen

Mehrsprachig aufwachsen

Weil wir doch öfter mal gefragt werden, wie wir "das mit der Mehrsprachigkeit" in unserer kleinen Familie machen, dachte ich mir, ich schreibe mal einen Blogbeitrag dazu.

So fing alles an

Dass ich heute eine mehrsprachige Familie habe, verdanke ich dem Schicksal, das mich 2011 nach Südfrankreich verschlagen hat. In der Provence lernte ich den witzigsten, gechilltesten (sagt man das heutzutage noch?) und liebsten Erasmus-Studenten kennen - der zufällig Tscheche war/ist. Damals hatte er noch lange Haare und trug T-Shirts mit Pink Floyd- oder Jimmy Hendrix-Aufdrucken. Beides hielt mich anscheinend nicht davon ab, mich in ihn zu verlieben 😃. Und der Rest ist Geschichte. Seitdem sind unsere Leben wie string cheese miteinander verflochten.

Genau wie wir, hat auch unsere gemeinsame Sprache eine Entwicklung durchgemacht, denn in den ersten Jahren haben wir Französisch miteinander gesprochen. Doch je länger wir in Brno lebten, desto mehr nahm Englisch überhand, bis es das Französisch ganz ablöste. Und je mehr ich Tschechisch lernte, desto mehr vermischten sich Englisch und Tschechisch in unserem Alltag. Deutsch sprach ich zu diesem Zeitpunkt nur mit Freund:innen und der Familie am Telefon oder mit tschechischen Freundinnen, die Deutsch sprachen.

Bis zu dem Tag, an dem Hermine geboren wurde. Mit ihrer Geburt veränderte sich unsere Sprachsituation erneut. Plötzlich bekamen unsere Sprachen eine viel größere Bedeutung! Jetzt hieß es, wir brauchen einen Plan, eine Strategie, eine Methode! Okay, das war mein Impuls. Immerhin bin ich immer noch deutsch. Jan war da typischerweise tiefenentspannt. 😉

Ab dem Zeitpunkt bis jetzt sind drei Jahre vergangen und ich glaube, wir haben nicht total versagt! Jedenfalls macht uns das Begleiten in mehreren Sprachen einen riesen Spaß und ich würde es mir nicht anders wünschen. Das ist doch schon mal viel Wert.

Also, hier kommt ein kleiner Einblick in unseren mehrsprachigen Alltag.

One-parent-one-language

Die OPOL-Methode funktioniert so, dass jeder Elternteil seine Muttersprache mit dem Kind spricht. Diese Methode hat sich in bilingualen Familien etabliert, und wenn man konsequent dabei bleibt, ist die Chance sehr hoch, dass das Kind beide Sprachen auf muttersprachlichem Niveau beherrscht. Ich spreche also mit Hermine Deutsch und Jan spricht Tschechisch mit ihr. So ist jedenfalls die Theorie, die auch zu ca. 60% auf unseren Alltag zutrifft. Allerdings: Wie in vielen anderen bilingualen Familien, kommt bei uns noch eine dritte Sprache hinzu - nämlich Englisch, da Jan und ich ja Englisch miteinander sprechen.

Dreisprachiger Alltag

Also, wie sieht unser Alltag mit drei Sprachen konkret aus? Bunt! Witzig! Manchmal haben wir eine Lost-in-Translation-Situation, was je nach Stimmung, zu Frustration oder noch mehr Lachern führt. 😉

Konkret spreche ich Hermine auf Deutsch und Jan spricht sie auf Tschechisch an. Mir antwortet sie auf Deutsch und im Moment antwortet sie auch Jan mehr auf Deutsch als auf Tschechisch. Aber sie versteht alles, was er sagt. Umgekehrt, streut sie manchmal tschechische Wörter in einen deutschen Satz ein, wenn sie nur das tschechische Wort kennt. Wir sind also noch in der Phase, in der sie ihre Muttersprachen mixt. Dieses Ungleichgewicht entsteht dadurch, dass ich seit ihrer Geburt zuhause bin, während Jan arbeiten geht. Sie ist tagsüber also dem Deutschen mehr ausgesetzt als dem Tschechischen. Auch wenn Jan sich bemüht, früh von der Arbeit nach hause zu kommen, um Zeit mit ihr zu verbringen (ja, mit ihr, nicht mit mir), ist es natürlich logisch, dass sie aktiv mehr deutsche Wörter benutzt, wenn wir zu zweit die Stadt unsicher machen. Diese Sprachverteilung wird sich bald wieder ändern, sobald Hermine in den Kindergarten geht. Dazu mehr in einem anderen Blogbeitrag.

Nun gehe ich mit Hermine dreimal die Woche zu unterschiedlichen Kursen/Spielgruppen, die alle auf Tschechisch sind. Auch dort spreche ich bewusst Deutsch mit ihr, während die Kursleiter:innen mit ihr auf Tschechisch kommunizieren. Der rote Faden, an den ich mich wirklich strikt halte, ist, überall mit ihr Deutsch zu sprechen. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, zum Beispiel in Situationen, wenn andere Kinder involviert sind.

Unser Freundeskreis ist sprachlich und kulturell ganz toll bunt gemischt. Wenn ich mich zu play dates mit anderen Mamas treffe, sprechen und hören wir Englisch, Deutsch, Tschechisch, Slowakisch, Rumänisch. Eine typische Spielplatz-Situation läuft zum Beispiel so ab, dass ich mich mit meiner tschechischen Freundin auf Englisch unterhalte. Dann kommt Hermine angelaufen und spricht Deutsch mit mir, während meine Freundin tschechisch mit Hermine spricht. Ein anderes Beispiel: Die Tochter meiner slowakischen Freundin wächst ebenfalls bilingual auf und eine ihrer Muttersprachen ist Englisch, weil ihr Papa aus Neuseeland stammt. Mit ihr spreche ich natürlich Englisch. Das Schöne hier ist, dass Hermine versteht, was ich zu ihrer kleinen Freundin sage, und sie dann manchmal sogar auch etwas auf Englisch sagt.

Wenn wir uns mit unseren deutschsprachigen tschechischen Freund:innen treffen, sprechen selbst die Kinder untereinander Deutsch. Dies ist natürlich für Hermine total toll, weil sie merkt, dass andere Kinder sie auch auf Deutsch verstehen. Das pusht ihr sprachliches Selbstbewusstsein in Deutsch, was Gold wert ist, wenn man im Ausland lebt.

"Sind das nicht zu viele Sprachen auf einmal?"

Nein! Wir überfordern das Kind nicht mit drei Sprachen und es wird auch nicht alle drei Sprachen nur halb beherrschen. Auch wenn diese Mythen immer noch präsent sind, haben Studien bewiesen, dass Babys mit einer Art Sprach-Bauplan auf die Welt kommen, dank dem sie jede Sprache lernen können und sogar mehrere parallel. Unser Gehirn ist zum lebenslangen Lernen angelegt, und da das Hirn eines Babys und Kleinkinds noch viel plastischer ist, stellt das Lernen mehrerer Sprachen in frühen Jahren kein Problem dar. Kinder können die Sprachen schon im frühen Alter voneinander unterscheiden und je nach Kontext mühelos hin- und herswitchen. So weiß Hermine mit ihren fast drei Jahren zum Beispiel, dass Papa ihr die tschechischen Bücher und Mama die deutschen Bücher vorließt. Beim Abendessen, wenn wir alle zusammensitzen, möchte sie manchmal explizit Englisch sprechen, auch wenn ihr Wortschatz hier begrenzter ist. Also, ich persönlich kann nicht sagen, dass wir unser Kind verwirren oder überfordern. Im Gegenteil, Hermine hat schon jetzt ein metasprachliches Bewusstsein und fragt immer ganz neugierig, wie man dies und jenes auf Englisch, Deutsch oder Tschechisch sagt.

Eine Sprache ist wie ein Pflänzchen, das Sonne und Wasser braucht

Auch wenn man denkt, dass es ja ganz natürlich ist, dass ein Kind Sprache so ganz nebenbei lernt, stimmt das nur teilweise. In einer einsprachigen Familie, die ausschließlich Deutsch spricht, und deren Umgebung deutschsprachig ist, hat das Kind natürlich ausreichend Input in dieser Sprache.

In unserem Fall und in anderen mehrsprachigen Familien sieht die Situation etwas anders aus, und ist auch wiederum ganz individuell. In unserem konkreten Beispiel wollen wir, dass Hermine mit Deutsch, Tschechisch und Englisch aufwächst. Aber wie oben beschrieben, gibt es aufgrund unseres Familienalltags ein Ungleichgewicht zwischen den Sprachen, was ja ganz natürlich ist. Dies versuchen wir kontinuierlich auszugleichen. Ich stelle mir Hermines Sprachen immer wie drei kleine Pflänzchen vor, die, wenn sie nicht regelmäßig gegossen werden, irgendwann eingehen. Also, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, ständig mit der Gießkanne hinter ihr herzulaufen und darauf zu achten, dass alle drei Pflänzchen genug Wasser und Sonnenlicht bekommen. 🌱 Ihr versteht, was ich meine.

Darüber, wie genau wir unsere drei Sprachen fördern und auf welche Probleme wir manchmal stoßen, schreibe ich noch einen gesonderten Beitrag, weil dieser sonst zu lang wird. 🙃

Ich hoffe, mein kleiner Einblick in unseren mehrsprachigen Alltag hat die Frage, wie wir das mit der Mehrsprachigkeit machen, ansatzweise beantwortet. Seid ihr auch eine mehrsprachige Familie? Dann hinterlasst mir gerne einen Kommentar und erzählt ein bisschen von eurer Situation. Das interessiert mich wirklich brennend! 🔥

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